
Obwohl millionenfach fotografiert und in unzähligen Instagram-Posts zu sehen, hat ein Sonnenuntergang mit Blick auf es Vedrà offenbar nichts von seinem Glanz verloren. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in den Sommermonaten bereits die Anfahrt zum Aussichtspunkt El Mirador zum Spießrutenlauf mutiert. Dementsprechend geschafft kehrten die Reporter der Lokalzeitung Periódico de Ibiza y Formentera von ihrem Besuch am Sonntagabend zurück an ihre Schreibtische.
Die Sätze, die sie dort zu Papier brachten, enthielten dann Worte wie „Kollaps“, „Massifizierung“ oder „Verkehrschaos“. Der Inhalt ihrer Reportage erweckte nicht den Eindruck, als wollten sie dort als Privatpersonen möglichst schnell zurückkehren – zumindest nicht vor Ende Oktober. Vielmehr erschleicht den Leser bei der Lektüre das Gefühl, hier geriet ein überzeugter Atheist ungewollt in eine Wallfahrt.
Willkürlich abgestellte Autos, im besten Fall nur zur Hälfte auf der Straße zurückgelassen, erzeugen bei den örtlichen Polizisten nur noch resigniertes Kopfschütteln. „Es will in die Köpfe dieser Menschen einfach nicht reingehen, dass sie mit ihrem unzivilisierten Verhalten auch eine Gefahrenlage heraufbeschwören“, diktierte ein Ordnungshüter dem Journalisten in den Schreibblock. Kaum vorstellbar, wie ein Rettungswagen im Notfall sich den Weg durch vogelwild geparkte Blechlawinen bahnen soll.
So manch gewiefter Geschäftsmann wittert an solchen Abenden den großen Reibach. Etwa der von Kopf bis Fuß tätowierte Mojito-Mixer hinter der mitgebrachten, aus Holz zusammengezimmerten Minitheke im XS-Format. Für zehn Euro füllt der ganz in Schwarz gekleidete junge Mann Rum, viel Zucker und gehörig Eis in Plastikbecher. Die Frage nach einer behördlichen Genehmigung erübrigt sich von selbst – der Aussichtspunkt ist Teil eines Umweltschutzgebietes.
Erst lange, nachdem die Sonne die Felseninsel es Vedrà links liegen ließ und sich am Horizont versteckte, löst sich die Menschenmasse allmählich wieder auf. So richtig Ruhe will aber auch gegen Mitternacht noch nicht einkehren, nach Ibiza kommt man schließlich nicht zum Schlafen. Um diesen fühlen sich Anwohner seit etlichen Jahren gebracht. Ihr Anliegen brachten sie längst bei der Gemeindeverwaltung Sant Josep vor, bislang mit wenig Erfolg.
Dabei verspricht die Politik seit gefühlt Jahrzehnten, das regelmäßig auftretende Chaos in geregelte Bahnen zu leiten. Mit Hinweisschildern, Fahrbahnbegrenzungslinien, Polizeipräsenz. Notfalls auch unter Androhung von Bußgeldern und Abschleppwagen. Viel Eindruck macht dies, so stellten die Redakteure des Lokalblatts wenig überraschend fest, unter Gästen aus aller Herren Länder nicht. Ibiza sei der Wahnsinn, brüllt ein britischer Besucher den Journalisten entgegen: “Partys, Strände und Sonnenuntergänge wie dieser.”